Pressemitteilung zur Kundgebung am Invalidenpark zum Internationalen Frauen*kampftag am 8. März in Berlin
Anlässlich des 8. März – dem Internationalen Frauen*kampftag – sagen wir: Wir kriegen die Krise! Im Zuge der Corona-Pandemie sind feministische Kämpfe zum Thema Gesundheit so wichtig wie nie zuvor. Zum einen wird deutlich, dass die feminisierte Arbeit im Gesundheitssektor unfair entlohnt und als selbstverständlich hingenommen wird. Zum anderen ist erkennbar, wie prekär die gesellschaftlichen Bedingungen für die Gesundheit von Frauen* und queere Personen sind: Schwangerschaftsabbrüche werden durch die Pandemie extrem erschwert, häusliche Gewalt gegen Frauen* und queers hat Konjunktur. Das zeigt: Ihr wollt unsere Arbeit, gebt uns aber nicht unsere Rechte.
Zwar hat die Corona-Pandemie den politischen Verantwortlichen die Bezeichnung „systemrelevant“ für den Erziehungs- und Gesundheitssektor abgerungen und damit das Eingeständnis geliefert, dass die so genannten “Frauenberufe” die elementarsten für unsere Gesellschaft sind. Doch bleibt diese Anerkennung weiterhin ein Lippenbekenntnis. Wir gehen auf die Straße, damit diese wichtige Arbeit sichtbar wird, sie anerkannt, fair entlohnt und gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt wird!
Sorge- und Pflegearbeit = “Frauensache”?!
Der Gesundheitssektor steht aktuell beispielhaft für gesellschaftliche Sorgearbeit. „Es ist kein Zufall, dass Angestellte in Sorgeberufen schlecht bezahlt, prekär beschäftigt und überlastet sind: Nach wie vor werden sie als so genannte ,Frauenberufe` gesehen und damit gesellschaftlich abgewertet,“ sagt Anna Will von feminist*dialogues. „Dabei funktioniert unsere Gesellschaft nicht ohne professionelle und private Pflege, Erziehung, Hausarbeit, Reinigungsarbeit, Sozialarbeit oder auch emotionale Arbeit. Eine grundsätzliche Anerkennung der Arbeit, die beinhaltet, sich um andere Menschen zu sorgen, ist nötig.“ Dafür braucht es eine Umstrukturierung der gesamten Gesellschaft hin zu einer Care-Ökonomie inklusive Politiken, die Sorgearbeit geschlechtergerecht verteilen und Sorgeberufe fair entlohnen.
Im Gesundheitssystem werden Frauen* und queers benachteiligt!
Unser Gesundheitssystem ist noch immer durch patriarchale Herrschaftsverhältnisse geprägt. „Der Zusammenhang von Geschlecht und Geschlechtsidentität zeigt sich in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung“, sagt Lotte Schwarz vom feministischen Streik Berlin: „Auch heute werden Frauen* und queers benachteiligt, sei es im Bereich der professionellen Pflege, der Pflege von Angehörigen, der medizinischen Versorgung im Hinblick auf Schwangerschaft, Geburt und Schwangerschaftsabbruch, ihnen wird schlicht (körperliche) Selbstbestimmung abgesprochen.“
Professionelle Pflege wird vor allem von Frauen* geleistet
Über 75% der Beschäftigten in der Krankenpflege, den Servicebereichen wie Reinigung und Speisenversorgung, sind Frauen*. An den unhaltbaren Arbeitsverhältnissen in der professionellen Pflege hat sich nichts geändert. Es sind gerade die professionell Pflegenden, die Pflegebedürftigen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen könnten. „Wie in allen ,Frauen*berufen’, werden den Fachpersonen Kompetenzen abgesprochen und die hochkomplexe Arbeit und das dafür nötige Fachwissen weder gesehen noch gewürdigt“, sagt Silvia Habekost vom Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite: „Wer glaubt, man könne Leben retten oder Beatmungsmaschinen bedienen nur aufgrund eines ,großen Herzens’, wird keine angemessenen Löhne oder Arbeitsverhältnisse durchsetzen und den Pflegenotstand somit weiter verschärfen.”
“Männliche” Medizin riskiert die Gesundheit von Frauen
Auch in unserem medizinischen Verständnis sind Frauen* unterrepräsentiert. Der biologisch männliche Körper ist bis heute die Norm der medizinischen Lehre. Nach wie vor gibt es zu wenig Forschung zu unterschiedlichen Symptomen der gleichen Erkrankungen bei Frauen* bzw. queers und Männern*. Auch Medikamente sind in der Forschung und der Dosierung auf den Stoffwechsel von cis-Männern zugeschnitten. Die Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Medizin sind immer noch ein völlig unterrepräsentiertes Gebiet der Forschung. „Das Gesundheitssystem ist in der Versorgung von Frauen* damit deutlich schlechter aufgestellt, als in der Versorgung der Männer*.“ sagt Gökçe Okumuş vom Walk of Care.
Frauen* können noch immer nicht über ihre eigenen Körper bestimmen
Besonders deutlich wird die Benachteiligung von Frauen* bei der körperlichen Selbstbestimmung. Bis heute stellt die Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft, zusammen mit Mord, Totschlag und Tötung, eine Straftat gegen das Leben gemäß §218 StGB dar. Ärzt*innen, die über einen Schwangerschaftsabbruch aufklären, werden strafrechtlich verfolgt. Körperliche Selbstbestimmung bleibt damit ein Privileg von gesunden Männern* und wird Frauen* und queers bis heute verwehrt. „Eine gute Aufklärung und gesundheitliche Versorgung von ungewollt Schwangeren, wird dadurch behindert. Ungewollt Schwangere sehen sich Repression und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Auf der anderen Seite ist übergriffiges, in vielen Fällen traumatisierendes Verhalten im Kreissaal an der Tagesordnung. Kaiserschnitte werden häufig nicht aus medizinischer Notwendigkeit durchgeführt sondern weil sie am lukrativsten sind.“ sagt Jule Meier vom Frauen*streikkomitee Wedding.
Unsere Leben sind mehr wert als ihre Profite!
Diese Verhältnisse haben System. “Das Gesundheitssystem und wie unbezahlte Arbeit organisiert wird, dient heute den Profiten einiger weniger und nicht einem guten Leben von uns allen. Das sehen wir gerade in der Pandemie”, sagt Tabea Winter von Brot und Rosen. “Wir sind deshalb der Meinung, dass das Gesundheitssystem unter Kontrolle der Beschäftigten verstaatlicht werden muss.”
Feministische und gesundheitspolitische Gruppen und Bündnisse fordern mit einer gemeinsame Kundgebung am 08. März um 11 Uhr am Invalidenpark :
– konsequente Anerkennung und gerechte Bezahlung von Pflege- und Sorgearbeit
– geschlechtergerechte Verteilung von Pflege- und Sorgearbeit
– das Recht auf körperliche Selbstbestimmung
– kostenlose Gesundheitsversorgung in allen Lebenslagen.
Mit Redebeiträgen und musikalischer Untermalung schaffen sie gemeinsam einen “Platz für Sorge”. Eine Kunstinstallation macht dort Pflege- und Sorgearbeit sichtbar. Unter dem Motto “Sorgearbeit ist goldene Arbeit” werden golden eingefärbte Utensilien der Sorge- und Pflegearbeit wie Einmalhandschuhe, Klobürsten und Babyschnuller künstlerisch präsentiert. Forderungen der Besucher*innen und Passant*innen bezüglich Care- und Pflegearbeit werden öffentlich gesammelt.
Die Kundgebung wurde u.a. organisiert vom Walk of Care, dem Frauen*streikkomitee Wedding, dem Feministischen Streik Berlin, Brot und Rosen, feminist* dialogues und dem Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite.